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Kollision im Kreisverkehr zwischen Fahrzeugen in benachbarten Fahrstreifen

Amtsgericht Mitte, Urteil vom 1. Februar 2012 – 112 C 3137/11

Kollision im Kreisverkehr zwischen Fahrzeugen in benachbarten Fahrstreifen, von denen das eine ausfährt und das andere im Kreisverkehr verbleibt.

In einem durch Rechtsanwalt Säverin erstrittenen Urteil hat das AG Mitte heute Folgendes entschieden: Kommt es in einem Kreisverkehr zwischen zwei in benachbarten Fahrstreifen fahrenden Pkw deshalb zu einer Kollision, weil der eine – im rechten Fahrstreifen fahrende – Pkw im Kreisverkehr verbleibt und der andere – im linken Fahrstreifen fahrende – Pkw aus dem Kreisverkehr ausfährt, so haften die Führer beider Pkw jeweils zu 50 % für den entstandenen Schaden, wenn unmittelbar vor der Ausfahrt keine Pfeile auf der Fahrbahn vorhanden sind, die eine bestimmte Fahrtrichtung vorschreiben; darauf, ob Pfeile woanders als unmittelbar vor der Ausfahrt vorhanden sind, kommt es hierbei nicht an.

Im konkreten Fall ging es um einen Unfall im 3-streifigen Kreisverkehr des Strausberger Platzes. Kläger und Beklagter waren von Norden kommend (Lichtenberger Straße) in den Kreisverkehr eingefahren. Der Beklagte war im ganz linken (innersten) Fahrstreifen gefahren und wollte in der südlichen Ausfahrt aus dem Kreisverkehr ausfahren. Der Kläger war im zweiten Fahrstreifen von links gefahren und wollte im Kreisverkehr verbleiben. An der südlichen Ausfahrt des Kreisverkehrs kam es zur Kollision beider Fahrzeuge. Das Amtsgericht kam zu dem Schluss, dass beide Fahrzeugführer den Unfall zu jeweils 50 % zu verantworten haben:

„Nach dem Vortrag der Parteien steht zur sicheren Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 ZPO fest, dass die Parteien den Verkehrsunfall jeweils zur Hälfte verursacht und verschuldet haben, in dem beide Fahrzeugführer entgegen dem allgemeinen Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß § 1 StVO nicht ausreichend darauf geachtet haben, ob der jeweils andere Fahrzeugführer der durch die Richtungspfeile auf der Fahrbahn gegebenen Fahrempfehlung tatsächlich Folge leistet.

Grundsätzlich schreiben Richtungspfeile auf der Fahrbahn gemäß § 41, Zeichen 297 StVO, die unmittelbar vor einer Kreuzung oder Einmündung angebracht sind, die Fahrtrichtung auf der folgenden Kreuzung oder Einmündung vor, wenn zwischen den Fahrstreifen eine gestrichelte Linie (Zeichen 340) oder eine durchgezogene Linie (Zeichen 295) angebracht ist. Anderenfalls stellen die Richtungspfeile Fahrempfehlungen dar, sie geben also die Fahrtrichtung nicht zwingend an.

So ist es auch hier, denn hinter der Haltelinie Lichtenberger Straße führt die Zufahrt der Karl-Marx-Allee auf den Strausberger Platz, so dass die Richtungspfeile gerade nicht unmittelbar vor der Ausfahrt Lichtenberger Straße auf der Fahrbahn angebracht sind. Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass je nachdem, ob sich ein Fahrzeug bereits auf dem Strausberger Platz befindet oder erst an der Zufahrt Karl-Marx-Allee auf den Strausberger Platz fährt, unterschiedliche Fahrtrichtungen für den selben Fahrstreifen angeordnet würden (vgl. insgesamt Kammergericht, Urteil vom 26.1.2009, Aktenzeichen 12 U 255/07). Das klägerische Fahrzeug durfte danach den Strausberger Platz weiter befahren und das Beklagtenfahrzeug durfte den Strausberger Platz an der Ausfahrt Lichtenberger Straße verlassen.

Ein Verstoß des Beklagten zu 1) gegen das Einordnungsgebot des § 9 Abs. I StVO ist in dieser Konstellation nicht gegeben, denn entsprechend den Fahrempfehlungen vor der Haltelinie der Zufahrt Karl-Marx-Allee durften sowohl das klägerische Fahrzeug als auch das Beklagtenfahrzeug, also die Fahrzeuge aus beiden Fahrstreifen, den Strausberger Platz an der Lichtenberger Straße verlassen. Der Beklagte zu 1) hat damit beim Verlassen des Strausberger Platzes an der Lichtenberger Straße vom linken Fahrstreifen aus auch keinen Fahrstreifenwechsel durchgeführt, sondern ist seinem Fahrstreifen weiter gefolgt.

Folge der Fahrempfehlungen ist aber auch, dass sich die Fahrzeugführer einerseits nicht darauf verlassen dürfen, dass die anderen Fahrzeugführer dieser Fahrempfehlung folgen werden, andererseits die Fahrzeugführer, die der Fahrempfehlung nicht folgen, beachten müssen, dass andere Fahrzeugführer erwarten, dass den Fahrempfehlungen gefolgt wird. So durfte der Beklagte zu 1) nicht darauf vertrauen, dass das klägerische Fahrzeug den Strausberger Platz entsprechend der Fahrempfehlung verlässt, der Kläger dagegen musste berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1) darauf vertraut, dass das klägerische Fahrzeug den Strausberger Platz an der Lichtenberger Straße verlässt.

Gemäß dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Straßenverkehr gemäß § 1 StVO hätten beide Fahrzeugführer den Fahrweg des jeweils anderen Fahrzeugs sorgfältig beobachten müssen und ihre Geschwindigkeiten und Abstände so einstellen müssen, dass ein rechtzeitiges Reagieren auf jedwede eingeschlagene Fahrtrichtung des anderen Fahrzeugs möglich ist. Gerade das haben beide Fahrzeugführer schon nach dem jeweils eigenen Vortrag nicht getan. Nach der gemäß § 17 StVG gebotenen Abwägung der gegenseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile hält das Gericht eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 für angemessen.“